KONTAKT
Charlotte Reineke, Gemeinsame Arbeitsstelle RUB / IG Metall | Ruhr-Universität Bochum
charlotte.reineke@ruhr-uni-bochum.de
Was lässt sich von dem Fall Doncasters lernen?
Kurz & knapp
- Digitalisierung im Unternehmen nachhaltig verankern: Einmalig durchgeführte Testläufe, wie die pandemiebedingte Einführung des Home-Office, müssen durch beteiligungsorientierte Evaluierungen in langfristige Regelungen überführt werden. Eine strategische Planung und die Einbindung der Beschäftigten helfen bei Doncasters, Digitalisierungsprojekte nachhaltig zu gestalten
- Beschäftigte und Betriebsräte aktiv mit einbeziehen: Am Beispiel der von den Beschäftigten angeregten Einführung eines Röntgensystems bei Doncasters wird die Bedeutung des (Erfahrungs-) Wissens der Beschäftigten deutlich. Um dieses Wissen zu nutzen und in Veränderungsprozesse einzubinden gilt es, die Beschäftigten als Expert:innen ihrer Arbeitsprozesse ernst zu nehmen und sie an Gestaltungs- und Umsetzungsprozessen zu beteiligen.
- Knowhow aufbauen und bei Bedarf externe Unterstützung einholen: Viele Digitalisierungsprojekte erfordern u.a. von Betriebsräten ein sehr spezifisches Expertenwissen, welches nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Daher gehört die Reflexion darüber, welches Wissen und Know-how noch fehlt, zu einem der ersten Schritte in Digitalisierungsprojekten. Bei Doncasters wurde im Rahmen der Einführung eines neuen Betriebsdatenerfassungssystems die Unterstützung von gewerkschaftlichen Expert:innen hinzugezogen.
Unternehmen
Doncasters Precision Castings Bochum
Doncasters stellt eine Manufaktur mit einer klassischen Gießerei dar. In dem Unternehmen werden Turbinenschaufeln mit viel Handarbeit in bisher wenig automatisierten Prozessen hergestellt. Die Produktion ist in besonderem Maße vom Erfahrungswissen der Beschäftigten abhängig. Hierdurch besteht auf Seiten der Beschäftigten gleichzeitig jedoch die Sorge, dass durch technische Neuerungen Arbeitsplätze in der Produktion in Zukunft abgebaut werden könnten.
Am Beispiel von Doncasters lässt sich zeigen, wie Digitalisierung in traditionellen und eher zum Bereich der „old economy“ zählenden Unternehmen mit Hilfe von Beteiligung und gezielter Nutzung externer Unterstützung gestaltet werden kann.
Insbesondere durch die Einbeziehung externer Berater:innen und den Aufbau von Expertise in der Belegschaft konnten Ängste der Beschäftigten vor den Folgen der Digitalisierung abgebaut werden. Zusätzlich wird die Bedeutung der Beschäftigten als Expert*innen ihrer Arbeit deutlich, da sie proaktiv Verbesserungen und neue Technologien einbringen können, die zu den tatsächlichen Arbeitsabläufen passen.
Was war der Anlass für die Digitalisierung? Was wurde digitalisiert?
AUSGANGSLAGE, TECHNOLOGIE, ZIELSETZUNG
In der Vergangenheit spielten Automatisierung und Digitalisierungsprozesse in dem Unternehmen eine untergeordnete Rolle. Auf Grund der Unternehmensstruktur als Manufaktur und mehreren Inhaberwechseln gestalteten sich langfristig angelegte Veränderungsprozesse schwierig und angestoßene Projekte wurden zum Teil nicht abgeschlossen. Im Zuge der Covid-19-Pandemie änderte sich die Situation jedoch. Durch die notwendige Einführung von Home-Office für einige Betriebsteile, konnten positive Erfahrungen mit digitalen Veränderungsprozessen im Unternehmen gemacht werden.
Der Betriebsrat und Beschäftigte, die im Bereich der Verwaltung und zuarbeitenden Angestelltenbereich tätig waren, wurden mit der technischen Ausstattung für das Homeoffice ausgerüstet (Laptops, Kamera etc.). Es zeigte sich, dass die Beschäftigten derartigen technischen Neuerungen offen gegenüberstehen, wenn sie an Gestaltungs- und Umsetzungsprozessen beteiligt und für den Umgang mit neuen Technologien qualifiziert werden. Ein weiteres Digitalisierungs-Projekt bei Doncasters stellte die Einführung eines Röntgensystems für die Wachsmontage dar, welches die Qualitätskontrolle optimieren sollte. Ein aktuelles Projekt stellt die Einführung einer Betriebsdatenerfassung (BDE) dar, welches die Produktionsabläufe grundsätzlich überarbeiten und an die Anforderungen großer Auftraggeber anpassen soll.
GESTALTUNG UND UMSETZUNG
Für die Einführung der Röntgenanlage wurde der Betriebsrat frühzeitig von der Geschäftsführung informiert und in entsprechende Umsetzungsprozesse einbezogen. Hierdurch konnte der Betriebsrat gemeinsam mit der Geschäftsführung eine rechtzeitige und passgenaue Qualifizierung der von der Umstellung betroffenen Beschäftigten umsetzen. Für die Einführung des Home-Office der Beschäftigten aus dem Bereich der Verwaltung, der zuarbeitenden Bereiche und der Betriebsräte wurden kurzfristige und unbürokratische Lösungen gefunden, um in der pandemischen Lage arbeitsfähig zu bleiben. Die anfängliche Skepsis der Führungskräfte gegenüber dem Home-Office konnte durch die gemachten Erfahrungen mit der Umsetzung abgebaut werden.
Für die Einführung und Erarbeitung eines BDE-Systems nutze der Betriebsrat die Expertise der Gewerkschaft und weiterer Experten, um sich der Thematik zu nähern und das weitere Vorgehen zu planen. Insgesamt zeigte sich in dem Unternehmen, dass die größte Herausforderung in der Kommunikation zwischen den einzelnen Akteuren bestand. Um diese langfristig zu verbessern, wurden Führungskräfte mit Blick auf die Kommunikation und ihr Selbstverständnis qualifiziert und zusätzlich eine Betriebs-App entwickelt, welche den internen Informationsaustausch erleichtern soll. Hauptanliegen bezogen auf den Gestaltungs- und Umsetzungsprozess ist es dabei, die Arbeitsplätze im Unternehmen zu erhalten und die Beschäftigten frühzeitig in Veränderungsprozesse einzubeziehen (u.a. durch die Weitergabe entsprechender Informationen). So sollen nicht zuletzt Ängste der Beschäftigten gegenüber digitalen Veränderungsprozessen abgebaut werden.
Was hat bei der Gestaltung und Umsetzung von Digitalisierung geholfen?
UNTERSTÜTZUNG, RESSOURCEN
Für eine erfolgreiche Gestaltung und Umsetzung der Digitalisierung bei Doncasters war ein gemeinsam zwischen Geschäftsführung, Betriebsrat und Beschäftigten abgestimmtes, strategisches Vorgehen von besonderer Bedeutung. Hierdurch konnte auf die Anforderungen der Beschäftigten gegenüber den neuen Technologien eingegangen und eine passgenaue Umsetzung unterstützt werden. Fehler in der Nutzung und Einbindung im betrieblichen Alltag konnten so reduziert werden. Da die Beschäftigten die Expert*innen in ihren Arbeitsabläufen sind, können sie wichtige Impulse und Verbesserungen in das Unternehmen bringen. Dies setzt die unternehmensseitige Offenheit gegenüber diesen Vorschlägen und Ideen voraus.
Die Einführung des Home-Office im Zuge der Corona-Pandemie hat bei Doncasters zu einer gewissen Digitalisierungs-Motivation innerhalb des Unternehmens geführt. Die notwendige Umsetzung gesetzlicher Regelungen und Vorgaben und die entsprechende Anpassung und teilweise Neuausrichtung von Arbeitsprozessen boten eine externe Notwendigkeit, Veränderungen, die bei Doncasters bereits seit längerem diskutiert wurden, kurzfristig umzusetzen. Zudem konnten so auch wichtige Erfahrungen für eine längerfristige Nutzung von Home-Office-Möglichkeiten gesammelt werden.
Bei der Einführung des Betriebsdatensystems zeigte sich der Stellenwert externer Unterstützung und Beratung. Durch die Einbindung gewerkschaftlicher Expert*innen konnten Anregungen und Inputs für die Gestaltung und Umsetzung der Digitalisierung bei Doncasters eingeholt werden (u.a. bei Fragen der Beschäftigten-Qualifizierung). Für den Betriebsrat war hierbei insbesondere die Austauschmöglichkeit mit den Expert:innen von Bedeutung, um regelungsbedürftige Themenfelder (wie Fragen des Datenschutzes oder der Leistungs- und Verhaltenskontrolle) im Rahmen der Digitalisierungsprojekte zu identifizieren und sich Know-how für deren Bearbeitung einzuholen.
Was wurde mit der Digitalisierung erreicht?
ERGEBNIS
Durch die Einführung und den Einsatz des Röntgensystems wurde die Qualitätssicherung in der Produktion bei Doncasters verbessert. Da das Projekt zur Umstellung der betrieblichen Datenerfassung zum aktuellen Zeitpunkt noch läuft, kann hier bisher keine abschließende Bewertung vorgenommen werden. Grundsätzlich hat sich bei Doncasters gezeigt, dass die Digitalisierung dann erfolgreich umgesetzt werden kann, wenn diese nachhaltig geplant und mit dem Betriebsrat und den Beschäftigten gemeinsam angegangen wird. So konnten im Zuge des pandemiebedingten Home-Office beispielsweise Regelungen für die Beschäftigten erarbeitet werden, die auch über die Pandemie hinaus die Nutzung dieser Arbeitsform ermöglicht.
Hier sowie auch bei der Einführung des Röntgensystems wurde der Betriebsrat aktiv einbezogen, Anliegen und Anforderungen seitens der Beschäftigten wurden ernstgenommen. Bei Doncasters zeigte sich, dass die Beschäftigten bereit sind, sich mit Herausforderungen auseinander zu setzen, wenn diese nicht ihre Arbeitsgrundlage gefährdet und sie am Prozess der Gestaltung und Umsetzung mitwirken können.
Für die weitere Einführung des Datenerfassungssystems sollten diese Aspekte berücksichtigt und in den Vordergrund eines Change-Managements gestellt werden. Ein ehrliches, transparentes Informationsverhalten sowie ein sukzessives Heranführen an neue Herausforderungen, flankiert durch Schulungen, haben sich als wirksame Mittel erwiesen, um die Befürchtungen der Beschäftigten zu mindern.